Die Bewohner des brasilianischen Nordostens, vor allem im Hinterland (im Sertão), haben regelmäßig mit Dürre zu kämpfen. Wenn es in der nur zwei Monate dauernden Regenzeit nicht genug regnet oder nicht ausreichend Vorrichtungen zur Wasserspeicherung vorhanden sind, führt das zu großer Not. In einem Lied von mir, das sich stilistisch an der Tradition der "fahrenden Sänger" orientiert, erzähle ich, wie Menschen und Tiere unter der Trockenheit leiden und ein Bauer um Regen bittet und für ihn betet.
Der Bauer zieht dafür alle Register: Er zündet eine Kerze an, betet den Rosenkranz und legt das Gelübde ab, eine Treppe mit einhundert Stufen hinaufzusteigen, wenn es regnet. So etwas wie "Die Große Dürre" ("A Grande Seca") von 1877 bis 1879 darf nicht noch einmal passieren. Sie brannte sich als die größte Katastrophe ins Gedächtnis der Nordestinos ein. Sie forderte über eine halbe Million Menschenleben und veranlasste riesige Migrationsbewegungen (Fortaleza wuchs durch die Zuwanderung aus dem Landesinneren um das Sechsfache an). Es zeigten sich in dieser Notlage auch politische Verwerfungen zwischen dem Nordosten und dem Süden Brasiliens, die in der Marginalisierung des Nordostens bestanden, welche streckenweise bis heute andauert. Dürre und Trockenheit als generelles klimatisches Problem des Nordostens ist immer wieder Thema in der Kunst, sei es in der Literatur, der Malerei oder der Musik.
Der berühmte cearensische Volksdichter, Geschichtenerzähler und die wohl herausragendste Gestalt der "fahrenden Sänger", Patativa do Assaré, beschreibt in seinem Gedicht "A triste partida" die Flucht einer Familie aus dem Nordosten vor den Folgen des ausbleibenden Regens. Unter dem Motto alles oder nichts geht die Familie nach São Paulo: "Nós vamo à São Paulo Viver ou morrer" ("Wir gehen nach São Paulo, zu leben oder zu sterben"). Alles müssen sie zurücklassen und sie geraten schließlich an ihrem Zufluchtsort in die Abhängigkeiten von ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen. Luiz Gonzaga, der bekannteste Musiker der Musik des Nordostens (über ihn wird es noch einige Blogeinträge geben), der König des Baião, vertonte Patativas Gedicht.
In meinem Lied zur Dürre habe ich mit Tarcício Lima an der Gitarre und Artur Guidugli mit der Perkussion in einem sehr freien Rhythmus versucht, die Perspektive des verzweifelten Bauerns zu vertonen, der sorgenvoll zu seinem Vieh schaut. Das Instrument, das so ähnlich wie eine Geige klingt, ist eine Rabeca. Makito Vieira spielt sie für mich. Die Rabeca ist ein mit der Geige verwandtes Streichinstrument, das vor allem im Nordosten Brasiliens zu finden ist. In ähnlicher Bauart gibt es sie noch im Norden Portugals, wo sie ebenfalls in der Volksmusik genutzt wird. In Brasilien ist sie angeblich das erste Melodieinstrument im Forró gewesen, bevor das Akkordeon nach der Einwanderung der Deutschen die Rabeca als solches weitestgehend ablöste. Ihr klagender oder flehentlicher Ton spiegelt den Wunsch nach Regen und die Verzweiflung über die Dürre im Hinterland.