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Der Doktor des Baião: Humberto Teixeira aus Iguatu

Humberto Teixeira (1915-1979) aus Iguatu in der Nähe meiner Heimatstadt Mombaça, ist als "Doutor do Baião", Doktor des Baião, in die Geschichte der brasilianischen Musik eingegangen. Zusammen mit Luiz Gonzaga, dem "Rei do Baião", also dem König des Baião, komponierte er 1947 den Evergreen der nordöstlichen Musik mit Hymnenstatus: "Asa Branca". Dieses Lied gehört zu den am meisten aufgenommenen Liedern Brasiliens. Von ihm liegen 316 aufgenommene Interpretationen vor. Und es ist eben ein Baião.

 

Humberto Teixeira aus dem kleinen und abgelegenen Städtchen Iguatu in Ceará war der große Fürsprecher der nordöstlichen Rhythmen im kulturellen Zentrum Brasiliens, in Rio de Janeiro. Zunächst brachte er den nordöstlichen Rhythmus des "balance" oder auch "balanceio" in die Musikszene von Rio ein und schaffte es, diesen dort beliebt zu machen. Dann traf er Luiz Gonzaga in Rio. In einem nächsten Schritt und mit noch größerer Wirkung gelang es den beiden, den Rhythmus des Baião zu etablieren. Im 19. Jahrhundert war der Rhythmus einer der beliebtesten Tänze im Nordosten. Nach Brasilien kam er aus dem nordöstlichen Portugal (Alto Douro und Minho) mit einer Musikrichtung, die als "Chula" bekannt ist und die sich dann mit spezifischen Einflüssen in Brasilien mischte. Vom kulturellen "Hub" Rio de Janeiro aus strahlte der Baião dank der beiden Nordestinos Teixeira und Gonzaga ins ganze Land aus und wurde bis in die Mitte der Fünfziger Jahre im Radio rauf und runter gespielt. Die Lieder sind aber nicht auf kommerziell erfolgreiche Folklore zu reduzieren. Neben der Erfolgsgeschichte des Rhythmus ist es sehr interessant, sich auch die Texte genauer anzusehen: Der Baião besitzt sehr häufig eine sozialkritische Note. Im Lied "Asa Branca" - der Asa Branca ist ein Vogel -, dieser Hymne des Nordostens, geht es um die durch Dürre bedingte Landflucht der Bevölkerung in Richtung der großen Städte. Umweltzerstörung, die auf den Menschen zurückschlägt, ist immer wieder ein Thema in den Liedern des Baião. Im Lied "Assum Preto", auch von Teixeira und Gonzaga komponiert, wird ein grausames Vorkommnis beschrieben. Eine Person blendet einen Assum Preto, einen schwarzen Vogel, sticht ihm also die Augen aus. Warum macht diese Person das? Damit der Vogel schöner singt, im Glauben, dass es Nacht ist. Nach seiner Kritik an der Grausamkeit gegen den Vogel wenden die Dichter die Situation textlich auf den Erzähler im Lied an - dem Erzähler geht es wie dem Vogel: Er singt zwar schön, aber das nur, weil er traurig ist, weil man ihm seine Liebe genommen hat, die das Licht seines Lebens war. Der Musikethnologe Michael B. Silvers weist in seinem Aufsatz "Birdsong and a Song about a Bird" darauf hin, wie aus der kommerziell erfolgreichen, den Nordosten erst als umgrenztes regionales kulturelles Gebilde stiftenden Musik des Baião wiederum Rückwirkungen auf die Volkskultur selbst erfolgen: Die Regenvorhersagen der Wetterpropheten des Nordosten stützen sich auf die Texte der populären Musiken von Teixeira, Gonzaga und Co. 

Für mich ist das Besondere an den Liedern Teixeiras und Gonzagas, dass sie die volkstümliche Musik des Nordostens auf einen kulturellen Stand gehoben haben, von dem aus der nordöstlichen Kultur Brasiliens ihre verdiente Anerkennung zu teil geworden ist. Das letzte Video unten ist dann schließlich auch eine Version von "Asa Branca", die der Talking Heads Frontmann David Byrne aufgenommen hat. Der Baião hat es somit sogar bis in die US-Popkultur geschafft.

 

(Foto: Domínio público / Acervo Arquivo Nacional)