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"Águas de Março" von Tom Jobim

Der erste Kontakt mit Rio de Janeiro ist häufig Tom Jobim. Internationale Gäste landen in Rio auf dem Flughafen, der nach ihm benannt ist. "Garota de Ipanema" ist das international bekannteste Lied der brasilianischen Musik. Wenn man brasilianische Musikerin ist, muss man sich mit dem Großmeister des Bossa Nova auseinandersetzen. Ob man will oder nicht, muss man immer wieder "Garota de Ipanema" singen. Jobim entwickelte die Angst, das Lied noch mit 80 unter Pfiffen in einem Dorfzirkus zu singen.

 

Und genau in dieser Phase der Angst des unendlich wiederkehrenden "Garota de Ipanema", in seinem kleinen Landhaus Poço Fundo in São José do Vale do Rio Preto, schrieb Jobim 1972 das Lied "Águas de Março". Die "Wasser des März" bedeuten in Brasilien das Ende des Sommers - der endet auf der Südhalbkugel, wenn bei uns der Sommer beginnt, ein Ende dort ist ein Anfang hier.

Jobim berichtete später, dass er zur Zeit der Entstehung des Liedes auch in seinem Leben das Gefühl hatte, dass ein Ende naht bzw. sogar das Ende. Er war gesundheitlich in einem ziemlich schlechten Zustand.

Die Zeilen beginnen bis zum sehr kurzen, zweizeiligen Refrain mit "Es ist" (portugiesisch "é") und sind meistens die Aneinanderreihung von einzelnen Wörtern. Häufig lauert in diesen der Tod: "Es ist das Ende des Weges", "Es ist der Rest eines Stumpfs", "Es ist der Rest eines Gestrüpps", "Es ist ein Spreißel in der Hand", "Es ist der (müde oder tote?) Körper im Bett" oder "Es ist das tiefe Geheimnis". Der Hoffnungsschimmer, der einem Ende beiwohnt, liegt darin, dass ein Ende einen Anfang bedeuten kann. Und so löst Jobim textlich die Wiederholung des penetranten "Es ist" auf und es heißt: "Es sind die Wasser des März, die den Sommer beenden" ("São as águas de março fechando o verão")! Der Wechsel von "Es ist" zu "Es sind" wirkt nach den ständigen Wiederholungen von "é" wie eine Erlösung. Es tut sich etwas, so wie die Regenfälle reinigen und etwas Neues bringen. Die Hoffnung, dass etwas Neues beginnen kann! Der kurze "Refrain" weist dann in der zweiten Zeile darauf hin, was beginnt, und setzt fort, wieder mit "é" einsetzend, also den immer wiederkehrenden Kreislauf von vorne beginnend:

"É a promessa de vida no teu coração".

"Es ist das Versprechen des Lebens in Deinem Herzen."

Nach den Beobachtungen zum Thema "Anfang und Ende" möchte ich nun zu dieser zentralen Zeile des Liedtexts einen zweiten Aspekt beleuchten. Das Lied ist nämlich unter anderem auch ein Verweis auf eine Geschichte, die der brasilianische Schriftsteller Olavo Bilac (übrigens der Übersetzer von Wilhelm Buschs "Max und Moritz" ins Portugiesische) in seinem Gedicht "O caçador de esmeraldas", also "Der Jäger der Smaragde" erzählt. Das Gedicht beruht auf einer wahren Geschichte. Es beschreibt die siebenjährige Suche von Fernão Dias Pais Leme, einem berühmten Bandeirante, nach Smaragden (Bandeirantes waren Expeditionstruppen zur "Exploration" Brasiliens hinsichtlich Gold, Edelsteinen und Sklaven). Er schlägt sich durch dichte Wälder, gefährliche Flüsse und kämpft mit Indianerstämmen. Er erlebt Hunger, Krankheit und Tod, während er verzweifelt nach den sagenhaften Smaragden sucht. Nach sieben Jahren harter Suche voller Entbehrungen und Kämpfe glaubt Fernão Dias, seinen Schatz gefunden zu haben. Kurz darauf stirbt er an Fieber. Schließlich zeigt sich dann auch noch, dass die grünen Steine, die er für Smaragde hielt, wertlos sind. Die Frage ist: Was bleibt? Was bleibt von unserem Leben und den ganzen Mühen, wenn man am Ende stirbt und die Errungenschaften keine Smaragde, sondern falsche Steine sind? Diese Frage greift Jobim in seinem Lied auf und gibt die folgende Antwort, die eine Zeile des Gedichts widerspiegelt: "Es ist das Versprechen des Lebens in Deinem Herzen."

Was bleibt, ist das Versprechen, in den Herzen der Anderen weiterzuleben. Dieses Versprechen ist eine Hoffnung, die wir haben können. Ob das Versprechen gehalten wird, können wir nicht wissen. Die Wahrscheinlichkeit aber, dass das Versprechen eingehalten wird, können wir erhöhen, indem wir Beziehungen eingehen, in denen wir ein Du finden, das uns im Herzen behalten wird.

Man könnte natürlich noch viel mehr sagen über das Lied. Für mich ist das Lied in seiner schimmernden Komplexität der textlichen Bedeutungen und der musikalischen Komposition eine besondere Herausforderung. Daher bin ich auf Alexandre Caldi, einen bekannten Arrangeur und Musiker aus Rio de Janeiro zugegangen und habe ihn gebeten, dieses Lied für eine EP mit Liedern von Tom Jobim für mich zu arrangieren. Nachdem die Nachlassverwalter Jobims mir die Freigabe zur Aufnahme erteilt hatten, durfte ich das Lied für meine EP "Joelma Marques canta Tom Jobim" in meiner Interpretation festhalten - in der Hoffnung, dass ich in den Ohren der Zuhörerinnen und Zuhörer ein bisschen nachhalle.

Morte de Fernão Dias Pais Leme, de Antônio Parreiras
Morte de Fernão Dias Pais Leme, de Antônio Parreiras (Antônio Parreiras, Public domain, através da wiki Wikimedia Commons)