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Zwischen den Linien und darüber hinaus: Gilberto Gil und der "Meio do Campo" Afosinho

Gerade bereite ich einen Vortrag über kollektive Intentionalität vor, den ich an der PUC in São Paulo halten darf. Dabei kam mir das Thema Fußball öfter in den Kopf, weil sich an einem Teamsport kollektive Absichten illustrieren lassen. In Gilberto Gils "Meio Campo" geht es auch um Fußball. Das Lied ist ein Brief an Afonsinho, einen Spieler, der zum Symbol für Widerstand, Individualität und Freiheit im brasilianischen Sport wurde, und der Mediziner, Intellektueller und politischer Aktivist ist.

 

Afonsinho war ein talentierter Mittelfeldspieler, der in den sechziger und siebziger Jahren für Botafogo, Santos und andere Clubs spielte. Doch seine Karriere wurde durch seine Weigerung, sich den autoritären Normen der Militärdiktatur und der Fußballverbände zu unterwerfen, geprägt. Sein langer Bart und seine kritische Haltung machten ihn zur Zielscheibe konservativer Funktionäre – darunter auch Trainerlegende Zagallo, der ihn 1970 nicht für den Kader der Nationalmannschaft berücksichtigte.

Afonsinho kämpfte juristisch für das Recht, seinen eigenen Spielerpass zu besitzen, was eine Revolution in einem System war, in dem Spieler bis dahin quasi Eigentum ihrer Vereine waren. 1971 gewann er vor Gericht und wurde der erste brasilianische Fußballer mit "passe livre", also dem Recht, seinen Verein frei zu wählen.

Gilberto Gil widmete Afonsinho das Lied "Meio do Campo", das nicht nur musikalisch, sondern auch politisch ein Statement ist. Die Zeilen "Prezado amigo Afonsinho, Eu continuo aqui mesmo, Aperfeiçoando o imperfeito ..." sind eine direkte Anrede in Gils vertonten Brief an den "geschätzten Freund Afosinho".

Gil solidarisiert sich damit mit Afosinho, indem er sich auch der "Partei" zuordnet, die das Unvollkommene verfeinert ("aperfeiçoando o imperfeito"), die nicht nach Perfektion strebt, sondern nach Authentizität. 

Die Perfektion wird im Lied als Ziel des Torwarts beschrieben, also desjenigen, der das System verteidigt, den Gil im Text auch ins Tor der Nationalmannschaft stellt, die den Staat der Militärdiktatur symbolisiert, und "den Kasten sauber halten" will (der Kasten steht in diesem Bild natürlich für die Nation). Im Mittelfeld hingegen, wo Afosinho spielt, sind Kreativität, Wandel und Widerstand zu Hause. Hier etwas Neues zu schaffen, also ein Tor zum Beispiel, ist allerdings nicht einfach ("Fazer um gol nessa partida não é fácil, meu irmão.") - insbesondere, wenn man gegen ein repressives System spielt. Es ist viel schwieriger, als das Neue zu unterdrücken, das ja schon gelingt, wenn der Torwart im letzten Moment - wie ungelenk auch immer - seine Fußspitze noch in die Schussbahn eines ansonsten perfekten Schusses hält.

Wichtiger als der Erfolg ist jedoch für den Mittelfeldspieler ("Meio do Campo") das Ausprobieren, die Akzeptanz, dass im Leben nichts perfekt sein kann, das Sich-immer-wieder-in-Frage-Stellen, um dadurch trotzdem einen echten Fortschritt zu erreichen und wie Afosinho das ein oder andere Tor im echten Leben zu schießen.

 

(Bild: defutbolsomos.com.ar/alfonsinho-el-de-la-barba-prohibida)